Vor gut einem Jahr fiel für Amriswil der Startschuss für das Pilotprojekt «2000-Watt-Gemeinde». Die 2000-Watt-Gesellschaft ist ein energiepolitisches Modell, das vor einigen Jahren an der ETH Zürich entwickelt wurde. Gemäss dieser Vision sollte der Energiebedarf jedes Erdenbewohners einer durchschnittlichen Leistung von 2000 Watt entsprechen. Rechnet man zum aktuellen jährlichen Energieverbrauch von ca. 5000 Watt pro Einwohner die «grau» importierte Energie mit, wie sie in Konsumgütern wie Lebensmitteln, Kleidern oder Autos oder in Dienstleistungen steckt, die wir aus dem Ausland beziehen, beträgt die Kennzahl für Amriswil ca. 8000 Watt. Das bedeutet, dass unser aller Energieverbrauch durch vier geteilt werden müsste. Eine Illusion?
Nachdem in der Stadt Amriswil letztes Jahr eine Energieanalyse erarbeitet worden ist, erstellt zurzeit eine Kommission einen Massnahmenkatalog und legt fest, wo Einsparungen möglich sind. Dabei ist längst klar, dass der Umstieg von Atom- auf erneuerbar produzierten Strom eine beträchtliche Einsparung bringt, benötigt doch die Produktion einer Kilowattstunde aus Kernenergie drei- bis viermal so viel Primärenergie wie bei erneuerbar hergestellter Elektrizität. Wie EFT-Projektleiter Werner Müller kürzlich in einem Interview ausserdem festgestellt hat, besteht für Amriswil insbesondere im Bereich Mobilität ein erhebliches Potenzial zur Senkung des Energiebedarfs.
Die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft versteht sich als langfristige, generationenübergreifende Investition, um unseren Lebensstandard zu sichern. Das erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, erleben wir doch erst im Moment eines Stromausfalls, wie abhängig wir vom uns selbstverständlich erscheinenden «Pfuus» sind – vom «Sprit» ganz zu schweigen. Um das zugegeben äusserst ehrgeizige Hauptziel der 2000-Watt-Gesellschaft – Energieverbrauch von 1960 mit dem Komfort von 2050 – auch nur annähernd zu erreichen, gilt es, die folgenden Grundsätze zu beherzigen, die bei uns allen letztlich eine Verhaltensänderung voraussetzen: 1. Effizienz – wir machen aus weniger mehr. 2. Suffizienz – wir nehmen nur, was wir brauchen. 3. Substitution – wir stellen um auf erneuerbare Ressourcen.
In diesem Zusammenhang erscheint es fragwürdig, wenn für die Zeit nach der Sanierung der Bahnhofstrasse den Gewerbebetrieben entlang der Amriswiler «Einkaufsmeile» empfohlen wird, dannzumal nachts die Schaufensterbeleuchtung nur zu dimmen statt abzuschalten, weil dies die Ambiance positiv beeinflusse. Selbst wenn das Licht von verbrauchsgünstigen LED-Lampen stammt, bleibt ohnehin die Frage, wem die gedimmte Ambiance nachts um halb drei nützen soll. Ebenso wenig vereinbar mit dem Programm einer 2000-Watt-Gemeinde ist die nächtliche Beleuchtung der Glasscherbenkuben im neu gestalteten Kreisel Untere Bahnhofstrasse–Neustudenstrasse. Täuscht der Eindruck oder weiss da die eine Hand nicht, was die andere tut?
Josef Brägger
Kantonsrat Grüne
Amriswil