Vor dem Hintergrund der grossen Risiken der Atomenergie, der langfristig begrenzten Vorkommen von fossilen Energieträgern und des fortschreitenden Klimawandels kann die Energiewende für die Schweiz zweifellos als eines der wichtigsten Vorhaben für Wirtschaft und Gesellschaft betrachtet werden. Ausserdem bietet der Umbau der Energieversorgung für die Schweiz als Innovationsstandort mehr Chancen als Risiken. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Unabhängigkeit der Schweiz von Importen nicht-erneuerbarer Energieträger und der Schweiz als Vorreiterin im internationalen Klima- und Umweltschutz. Die Ziele der Energiestrategie 2050 des Bundesrates gehen deshalb in die richtige Richtung. Vor dem Hintergrund der Entwicklung auf den internationalen Energiemärkten wurden jedoch die Prioritäten bisher falsch gesetzt. Anstelle des Sammelsuriums von Förder- und Regulierungsmassnahmen sollte eine ökologische Steuerreform in Zentrum stehen.
Die Preise auf den internationalen Energiemärkten zeigen derzeit eine erstaunliche Entwicklung. Trotz des weltweit nach wie vor steigenden Energieverbrauchs und der langfristig begrenzten Vorkommen von fossilen Energieträgern sind wir zurzeit mit relativ tiefen Preisen konfrontiert. Dies gilt insbesondere auch für die europäischen Strompreise. Die tiefen Preise sind wohl zu einem grossen Teil auf die anhaltende Wirtschaftskrise in weiten Teilen Europas und die damit verbundene geringere Nachfrage zurückzuführen. Des Weiteren führt der vermehrte Abbau von Schiefergas in den USA zu einem höheren Angebot und somit zu tieferen Preisen bei fossilen Brennstoffen, was die Kosten der fossilen Stromproduktion reduziert. Hinzu kommt die in den letzten Jahren in Europa stark ausgebaute Förderung der erneuerbaren Energien, allen voran das Förderprogramm Deutschlands. Und schliesslich sind die Preise für CO2-Emissionszertifikate in der EU im Keller. Zu viele Zertifikate sind im Umlauf und das EU-Parlament hat es unlängst abgelehnt, das System zu reformieren.
Tiefe Preise reduzieren Investitionsanreize für erneuerbare Energien
So vorteilhaft die tiefen Energiepreise für die Konsumenten und die Industrie kurzfristig auch sein mögen, langfristig sind sie auch mit Risiken verbunden. So besteht die Gefahr, dass zu wenig in Massnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz investiert wird. Ausserdem bedeuten die tiefen Preise für fossile Energie und CO2-Emissionszertifikate wenig Gutes für den Klimaschutz. So sind gemäss dem englischen Wochenmagazin „The Economist“ in Europa 69 neue Kohlekraftwerke geplant.
Für die Schweiz zentral ist ausserdem, dass aufgrund der tiefen Strompreise derzeit Anreize fehlen, in die heimische Wasserkraft zu investieren. So könnten die Investitionskosten für ein neues Wasserkraftwerk gemäss Berechnungen von Avenir Suisse weder über die Preise von Grundlaststrom noch über die Preise für Spitzenlaststrom gedeckt werden. Hingegen übersteigen die Grundlastpreise die Grenzkosten von neuen Kohlekraftwerken, weshalb die Ausbaupläne in die Kohle nicht überraschen. Moderne Gaskraftwerke wären zumindest bei den Preisen der Spitzelast profitabel. Sie besitzen deshalb ideale Voraussetzungen, um die wetterbedingten Schwankungen bei der Produktion von Sonnen- und Windenergie auszugleichen.
Hohe Risiken der Auslandabhängigkeit der Schweizer Energieversorgung
Was bedeutet dies für die Energiewende? Es besteht die Gefahr, dass auch in der Schweiz der wegfallende Atomstrom, aber auch zunehmend die einheimische Wasserkraft, durch den Import von günstigem Strom aus fossilen Energieträgern ersetzt wird. Auch wenn die Reserven für fossile Brennstoffe begrenzt sind, so ist aufgrund der Schiefergasvorkommen und neuer Abbautechnologien nicht davon auszugehen, dass die Preise für fossile Energieträger kurzfristig stark ansteigen. Die fehlenden Anreize, ohne Subventionen in die Wasserkraft und in neue erneuerbare Energien zu investieren, dürften somit noch eine Weile bestand haben.
Langfristig sind jedoch aufgrund der begrenzten Vorkommen höhere Preise für fossile Energieträgern fast so sicher wie das Amen in der Kirche; mit schwerwiegenden Folgen für die Schweiz. Der Energieverbrauch der Schweiz wird heute zu fast 80% durch Importe gedeckt, namentlich Uran und fossile Brennstoffe. Fehlen dereinst die Kapazitäten für die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie, werden höhere Preise für Gas, Öl und Kohle auch in der Schweiz zu einem starken Anstieg der Energiepreise oder sogar zu Lieferengpässen führen. Zu beachten ist dabei auch, dass die weltweit grössten bekannten und ausschöpfbaren Öl- und Gasreserven im Nahen Osten und in Russland liegen; in Regionen also, die erfahrungsgemäss durchaus in der Lage und wohl auch dazu bereit wären, bei Knappheit die Versorgung nach Westeuropa zu unterbinden.
Ökologische Steuerreform muss Priorität geniessen
Die Energiestrategie des Bundesrats will in einer ersten Phase vor allem fördern und regulieren und verschiebt Massnahmen zur Lenkung des Energiekonsums auf später. Kurzfristig bestehen damit durchaus Anreize für Investitionen in neue erneuerbare Energien. Die Wirkung ist jedoch aufgrund von Mitnahmeeffekten und der knappen finanziellen Ressourcen beschränkt. Ausserdem bleiben die fehlenden Investitionsanreize für die konventionelle Wasserkraft bestehen oder werden sogar noch verschärft, da die Fördermassnahmen den Preisdruck zusätzlich erhöhen.
Abhilfe schaffen kann deshalb lediglich eine starke Änderung der Preissignale. Eine nachhaltige Förderung der erneuerbaren Energie sollte deshalb nicht über Subventionen, sondern durch die Korrektur der Preisverhältnisse erreicht werden. Nicht wie vorgesehen zusätzliche Fördermittel und neue Vorschriften sollten deshalb bei der Energiestrategie 2050 Priorität geniessen, sondern finanzielle Anreize auf der Nachfrageseite. Subventionen und Vorschriften sollten lediglich als flankierende Massnahmen in einer Übergangsphase ausgestaltet sein.
Eine Möglichkeit bestünde darin, sich dem europäischen Handelssystem für CO2-Zertifikate anzuschliessen. Wie bereits erwähnt sind diese heute jedoch zu billig und deshalb wirkungslos. Eine für die Schweiz gute Lösung wäre deshalb eine ökologische Steuerreform. Bestehende Steuern werden mit einer Energiesteuer auf der Produktion und dem Import von nicht erneuerbarer Energie ersetzt, sowie es die Volksinitiative „Energie- statt Mehrwertsteuer“ der Grünliberalen vorsieht. Eine Energiesteuer auf nicht erneuerbarer Energie führt zu einer Erhöhung der Energiepreise an der Grenze und somit zu einer allgemeinen Erhöhung des Strompreises. Trotz Überkapazitäten bei der fossilen Energie entstehen Anreize, in Anlagen zur Produktion von erneuerbarer Energie zu investieren. Dadurch werden nicht nur die neuen erneuerbaren Energien wie die Sonnen- und Windenergie, sondern auch die einheimische Wasserkraft attraktiver. Die Auslandabhängigkeit der Schweizer Energieversorgung sinkt, da der Anteil fossiler Energie stark zurückgehen würde. Ausserdem bleibt die Gesamtsteuerbelastung für die Schweizer Volkswirtschaft konstant, da zur Kompensation der neuen Energiesteuer andere Steuern gesenkt oder sogar abgeschafft werden.
Langfristige Standortattraktivität statt kurzfristiges Profitdenken
Der Bundesrat soll deshalb dem Parlament so schnell wie möglich eine Vorlage für eine ökologische Steuerreform unterbreiten, so dass diese bereits in der ersten Etappe der Energiestrategie eingeführt werden kann. Auch die traditionellen Wirtschaftsverbände wie z.B. Economiesuisse und der Gewerbeverband sind aufgefordert, ihren Widerstand gegen das ökonomisch sinnvolle und zukunftsweisende Konzept einer ökologischen Steuerreform aufzugeben. So bringt eine ökologische Steuerreform – im Gegensatz zu Subventionen und Regulierungen – keine Erhöhung der Fiskal- und Staatsquote und ist somit deutlich wirtschaftsfreundlicher als die vom Bundesrat skizzierten Fördermassnahmen. Ausserdem reduziert eine ökologische Steuerreform den Anteil fossiler Energie und somit die Auslandabhängigkeit des Schweizer Energieverbrauchs. Zwar führt eine Energiesteuer kurzfristig zu höheren Preisen. Das Risiko von zukünftigen Preissteigerungen und Lieferengpässen dürfte jedoch langfristig deutlich tiefer liegen, als wenn sich der Energieverbrauch weiterhin auf fossile Energieträger konzentriert.