Wer wagt, gewinnt
Am 5. Juni 2016 stimmen wir über die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Die Schweiz gilt wirtschaftlich als eines der innovativsten Länder weltweit. Mit dieser Initiative erhalten wir die Chance zu zeigen, dass wir auch Visionen im Sozialsystem haben.
Wir Schweizerinnen und Schweizer lieben Sicherheit, das Beständige, unsere Neutralität – so sagt man. Einzig in der Wirtschaft konnten wir bisher mit Innovation punkten. Bei internationalen Untersuchungen in Punkto Innovationskraft belegen wir regelmässig die ersten Ränge, eine Vielzahl von NobelpreisträgerInnen stammen aus der Schweiz und unser Land ist ein attraktiver Forschungsstandort für Unternehmen weltweit.
Was den sozialen Wandel angeht, tun wir uns hingegen eher schwer. Die Lohngleichheit von Mann und Frau ist immer noch nicht hergestellt (und wichtige Massnahmen dazu wurden Ende April sogar vom Parlament abgeschmettert), die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf ist deutlich schwerer sicherzustellen als in anderen europäischen Ländern (bspw. Elternzeit) und bei der Einführung des Frauenstimmrechts waren wir eines der Schlusslichter. Der Grund für diese schweizerische Zurückhaltung liegt unter anderem sich auch bei unserem Wohlstand und der hohen Lebensqualität in unserem Land. Schweizerinnen und Schweizer sind grösstenteils zufrieden mit ihrem Staat, auch wenn Ihnen dieser wichtige Rechte aberkennt und den Zugang zu wichtigen Änderungen verwehrt. Die Mehrheit der Bewohnenden in der Schweiz haben alles, was sie brauchen, weshalb sich beklagen? Weshalb Bestehendes verändern, wenn es doch so gut funktioniert? Solche Argumente erklären auch den forschen Wind, der der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen entgegen schlägt. Sie hat bisher nur wenig Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden. Es wird befürchtet, dass wir mit der Annahme dieser Initiative unser Sozialsystem ins Wanken bringen, unsere Wirtschaft zusammenbrechen wird und Schlimmeres geschieht.
Schwarzmalerei bringt uns nicht weiter
Für all jene, die diese Horrorszenarien für real halten, habe ich gute Nachrichten: Solche Schwarzmalereien sind ein altbekanntes Mittelchen gegen Reformen und gehen von den schlimmsten Worstcase-Szenarios aus, ohne aktuelle Studien zu berücksichtigen. Schon bei den Abstimmungen zur Einführung des Frauenstimmrechts hat man damit gedroht, dass die Wirtschaft zusammenbrechen werde. Das Gegenteil war natürlich der Fall. Wir dürfen nicht vergessen, dass wichtige Errungenschaften, die heute als selbstverständlich gelten, einst sehr innovativ waren. Ein Beispiel dafür ist unser Sozialsystem: Es dauerte 23 Jahre bis das Anliegen, eine Alters- und Hinterbliebenenvorsorge einzurichten, mehrheitsfähig wurde.
Weil man Reformen und nachhaltige Erneuerungen nur mit viel Mut durchsetzen kann, appelliere ich an Ihren Entdeckungsgeist. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre ein grosser Schritt nach vorne, ein höchst interessantes Experiment, um das uns andere Länder beneiden werden. Die Schweiz könnte testen, wovon andere Ländern nicht einmal zu träumen wagen. Wir könnten unsere Innovationskraft ganz praktisch beweisen.
Wir profitieren finanziell und sozial
Die Voraussetzungen für dieses Wagnis sind mehr als gut: Eine Vorstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen hat gezeigt, dass die Initiative ökonomisch nicht nur problemlos umsetzbar ist, sondern auch finanzielle Vorteile nach sich ziehen wird. Das „Institut Zukunft“ hat im April 2016 berechnet, dass das volkswirtschaftliche Potenzial des Grundeinkommens einem finanziellen Vorteil in der Grössenordnung von über 50 Mrd. Franken entspricht. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen würden die Gesundheitskosten reduziert, die Arbeitsproduktivität würde zunehmen und der Aufwand der Verwaltungen würde massiv abnehmen, so das Institut. Auch ein Versuch, der in den 1970er Jahren in Kanada durchgeführt wurde und den BürgerInnen ein jährliches Minimaleinkommen zusprach, zeigte: Wird die Armut gelindert, sinken die Gesundheitskosten.
Zu diesen finanziellen Profiten kommen die sozialen Veränderungen und positiven Auswirkungen. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen sorgen wir für mehr Unabhängigkeit. Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, haben ein eigenes Einkommen und sind finanziell nicht mehr so stark an ihre Partner gebunden wie heute. Männer, die Väter werden und sich ihren Kinder widmen wollen, haben ein Einkommen, das ihnen erlaubt ihr Pensum zu reduzieren. Mütter, die aus dem Arbeitsmarkt ausgetreten sind und sich der Familie widmen, sind finanziell unabhängiger und jene, die weiterhin arbeiten, können sich eine Kinderbetreuung leisten. Menschen, die bisher gesellschaftlich ausgegrenzt wurden, weil sie von Sozialhilfegeldern abhängig waren, können ein Leben in Würde führen. Die Schweiz hat also finanziell wie auch sozial nichts zu verlieren, sie kann nur gewinnen. Wir müssen es nur wagen.
Mut schafft Platz für Neues
Viele haben zwar Mut, glauben aber nicht an das Gute in uns. Sie haben Angst vor der Bedingungslosigkeit der Initiative. Dass jeder/jede Geld bekommt, ohne dafür etwas leisten zu müssen, befremdet sie und es wird befürchtet, dass dann niemand mehr arbeiten gehen will. Das glaube ich nicht, im Gegenteil. Ich glaube, dass mit dem bedingungslosen Grundeinkommen neue Impulse ermöglicht werden. Wer nicht arbeiten muss, will arbeiten. Wer nicht leisten muss, will etwas beitragen. Das sehen wir schon bei den heutigen Sozialsystemen: Fast alle, die heute in der Schweiz Sozialhilfe beziehen, würden lieber arbeiten gehen, finden aber keinen Einstieg in die Arbeitswelt. Der Pakt mit der Wirtschaft funktioniert nicht. Das ist der wirkliche Skandal unseres derzeitigen Sozialsystems.
Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen könnten wir alle verwirklichen, was wir schon immer tun wollten, wozu wir den Mut aber nicht hatten. Das zeigt: Die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen hat viel mit Mut zu tun. Wir müssen wagen, damit wir neuen Raum für mutige Vorhaben bekommen. Und nur so blieben wir auch in den nächsten Jahren ein innovatives Land. Ich bitte euch deshalb: Habt den Mut und stimmt am 5. Juni 2016 JA zur Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die nachfolgenden Generationen werden es uns danken - genauso wie auch ich den mutigen Frauen (und Männern) danke, die erfolgreich für das Frauenstimmrecht gekämpft haben (um nur eine Innovation zu nennen).