Einfach, schnell und neutral informiert
Gesellschaft > Religion
Umgang mit dem Islam in der Schweiz
Die muslimische Bevölkerung in der Schweiz hat über die letzten 30 Jahre stark zugenommen. Es findet deshalb eine Diskussion über kulturelle Unterschiede statt. Stichworte wie Multikulturalität und Werte prägen diese Debatte. Terroranschläge von Gruppen, welche im Namen des Islams handeln, sowie der Karikaturenstreit haben zu einer besorgten Bevölkerung geführt. Wie ist mit der muslimischen Präsenz in der Schweiz umzugehen? Dieser Text soll derzeit diskutierte Spannungsfelder bei der Integration von Muslimen in der Schweiz und zugleich konkrete Lösungsansätze dazu aufzeigen. Abschliessend werden generelle Ansätze zum Umgang mit dem Islam im Westen aufgezeigt.
Muslime in der Schweiz
Die Anzahl Muslime hat sich zwischen 1980 und 2000 mehr als verfünffacht. Deshalb stellt der Islam heute nach der römisch-katholischen und der protestantischen Kirche die drittgrösste Konfession in der Schweiz dar.

Abb. 1: Anteil Muslime an der Schweizer Gesamtbevölkerung
Der Islam kennt über 40 verschiedene Glaubensrichtungen. Die zwei grössten Gruppierungen stellen dabei die Sunniten und Schiiten (ähnlich wie reformiert und katholisch bei den Christen) dar. Ursprünglich erfolgte die Trennung aufgrund der Frage, wer die Muslime leiten soll. Mittlerweile bestehen Unterschiede über die Auslegung des Korans. Die Sunniten stellen weltweit sowie auch in der Schweiz die Mehrheit dar. Zwischen den beiden Glaubensrichtungen bestehen zum Teil blutige Konflikte.
Die in der Schweiz lebenden Muslime stammen zu 90% aus der Türkei und dem Balkan. Sie sind deshalb grösstenteils Sunniten. Im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung sind sie jünger, leben viel häufiger in Städten und sind öfters arbeitslos. Bei letzterem spielt das tiefe Bildungsniveau eine Rolle. Weiter sprechen nur 47% der Muslime in der Schweiz eine Landessprache. Das ist aber deutlich mehr als noch vor 30 Jahren.
Oft wird sehr pauschal über Muslime berichtet, was der Vielfältigkeit des Islams in der Schweiz nicht immer gerecht wird. Unter den Muslimen herrschen grosse Unterschiede über die Interpretation des Korans und über die Auffassungen zum Islam vor. Es stehen sich liberal und weltlich eingestellte Muslime einer äusserst konservativen Auslegung des Glaubens gegenüber. In der Schweiz existiert eine Vielzahl von muslimischen Gruppierungen, welche keinesfalls alle die gleichen Glaubensvorstellungen und Praktiken teilen. Häufig wird einem jedoch gerade dies vermittelt, wenn religiöse Führer und Verbandsvertreter muslimischer Gruppen zu gewissen Themen Stellung nehmen. Der Grossteil der Muslime identifiziert sich allerdings nicht mit solchen Äusserungen. Es besteht in der Schweiz zwar ein dichtes Netz an muslimischen Vereinen und Kulturzentren. Doch aufgrund der zum Teil grossen Unterschiede kann kein Verband für alle sprechen. Weiter praktizieren gemäss Schätzungen nur gerade 10-15% der Muslime ihren Glauben, leben also nach den religiösen Grundsätzen des Islams. Zu diesen gehört beispielsweise das fünfmalige Beten am Tag oder der Fastenmonat Ramadan. Dies gilt es bei Themen rund um den Islam zu beachten. Zudem ist es wichtig, zwischen Islam und islamischen Fundamentalismus strikte zu unterschieden. Fundamentalisten wehren sich gegen alles Westliche und Moderne. Weiter wollen sie, auch unter der Anwendung von Gewalt, eine Islamisierung der ganzen Welt herbeiführen, indem sie ihre Interpretation der Scharia – dem islamischen Recht – durchsetzen, was beim gemässigten Islam nicht der Fall ist.
Hauptthemen der Debatte
Es gibt viele politische Debatten darüber, wie mit dem Islam in der Schweiz umgangen werden soll. Dabei dreht sich vieles um die Frage des Andersseins. Dürfen Muslime sich im Sinne der Religionsfreiheit anders verhalten oder sollen sie sich an die schweizerische Kultur und Werte anpassen müssen? Im Folgenden sind die wichtigsten Spannungsfelder Kopftuch, Dispensation vom Schulunterricht, sowie Konflikte rund um das Thema Moscheen zusammengefasst.
Kopftuch
Das Kopftuch ist eines der am heissesten diskutierten Themen in den Medien. Als Grund für das Kopftuchtragen wird von konservativer Seite her auf drei Verse des Korans verwiesen. Ob diese Verse das Kopftuchtragen tatsächlich zwingend zur religiösen Pflicht machen oder ob es eher kulturell bedingt ist, ist unter islamischen Gelehrten umstritten. In der Schweiz trägt entsprechend nur eine Minderheit der Musliminnen ein Kopftuch.
Trotzdem ist das Tragen des Kopftuchs in der Schweiz oft diskutiert. Einerseits fällt es auf und betont die Abgrenzung zur Schweizer Kultur. Andererseits gibt es Ansichten, die besagen, dass das Kopftuchtragen der weiblichen Unterwerfung gegenüber dem Mann dient. Allerdings kann das Tragen auch auf einem eigenständigen Entscheid der Frau beruhen, die damit einfach ihren Glauben leben will. Fakt ist, dass das Kopftuch als religiöse Bekleidungsvorschrift von der Glaubensfreiheit nach Artikel 15 der Schweizer Bundesverfassung geschützt ist.
Ausnahmen gibt es im Schulbereich. So akzeptieren generell die kantonalen Behörden zwar das Kopftuch bei Schülerinnen, bei Lehrerinnen ist es jedoch umstritten. Hintergrund ist, dass die Lehrerinnen die Kinder religiös nicht beeinflussen und daher keine religiösen Zeichen auf sich tragen sollen.
Die Kantone gehen damit unterschiedlich um. Einer Genfer Lehrerin wurde das Tragen eines Kopftuches verboten, was auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestützt wurde. In anderen Kantonen ist das tragen des Kopftuchs jedoch erlaubt.
Generell festzuhalten ist, dass die Menschenrechte die Religionsfreiheit zusichern und der Staat damit das Tragen des Kopftuchs nicht verbieten kann. Ausnahmen wie bei den Lehrerinnen kann es geben, wenn andere öffentliche Interessen berührt sind. Dann sind die verschiedenen Interessen gegeneinander abzuwägen. Das heisst in unserem Fall der Genfer Lehrerin konkret: Die religiöse Neutralität der Schule in Genf wurde vom Gericht höher gewichtet als das Recht der Lehrerin ein Kopftuch tragen zu dürfen.
Dispensationen vom Schulunterricht
Häufig debattiert werden auch die Dispensationen vom Schulunterricht. Dabei geht es darum, dass einige Muslime ihre Kinder aus religiösen Gründen für Teile des Unterrichts aus der Schule nehmen wollen. Solche Dispensationen fallen in den Regelungsbereich der Kantone, welche dazu teilweise Regelungen aufgestellt haben. So werden Dispensationen beispielsweise für hohe religiöse Feiertage, den Schwimmunterricht und für einzelne Lektionen während dem Ramadan und dem Freitagsgebet erteilt. Für einzelne Unterrichtsinhalte (wie zum Beispiel Biologieunterricht) sowie Klassenlager sollen nach Meinung des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer [LCH] keine Dispensationen genehmigt werden. Problematisch ist, dass Mädchen von den Dispensationen mehr betroffen sind als Jungen. Das ist bezüglich des in der Verfassung garantierten Gleichheitsgebots kritisch. Eine Lösung bestünde darin, Ganzkörperanzüge für den Schwimmunterricht zuzulassen, damit auch muslimische Mädchen teilnehmen können. Zusammenfassend stehen sich hier zwei Lösungsansätze gegenüber. Nach einer Ansicht sind Ausnahmen generell zuzulassen, solange sie den Lernerfolg und Unterricht nicht negativ beeinträchtigen. Andere Stimmen fordern die Ablehnung von Sonderwünschen in der öffentlichen Schule.
Moscheen, Imame und Predigten
Wie die Kirchen für die Christen, so sind die Moscheen für die Muslime ein Ort des Gebetes und der islamischen Wertvermittlung für den Lebensalltag. Den Vorbeter beim islamischen Gebet nennt man Imam. Dieser nimmt seine Aufgabe dauernd war und ist bezüglich Stellung mit einem Pfarrer zu vergleichen.
Die Imame nehmen in der Diskussion um den islamischen Terrorismus eine wichtige Rolle ein. Dies deshalb, weil sie den islamischen Glauben vermitteln und damit auch entscheiden, ob sie einen modernen Islam oder einen fundamentalistischen, islamischen Glauben weitervermitteln. In Europa, besonders in England, sind einige Imame aufgefallen, welche offen zum Terror aufriefen.
Auch in der Schweiz wird diese Entwicklung mit Besorgnis betrachtet. Nach allgemeiner Überzeugung ist es mit der Schweizerischen Rechtsordnung nicht vereinbar, wenn Personen zu Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen. Der Bund versucht hier präventiv zu wirken. So sieht er für Personen, welche in der religiösen Betreuung tätig sein wollen, den Besuch eines Sprach- und Integrationskurses vor. Gewisse Gruppen fordern zudem die staatlich anerkannte Ausbildung von Imamen. Damit soll erreicht werden, dass nicht „fremde“ Imame, beispielsweise aus Saudi Arabien, in der Schweiz predigen, sondern integrierte und die demokratischen Grundsätze respektierende Imame den muslimischen Glauben verbreiten.
Eine andere Problematik stellen die Minarette (Gebetstürme) dar. Für die Muslime gehört das Minarett zur Moschee wie der Kirchturm zur Kirche. Für sie ist es ein Symbol der historischen Tradition des Islams. Einige Schweizer sehen in den Minaretten hingegen ein Herrschaftssymbol des Islams, welches für die Ausübung der Religion gar nicht erforderlich sei. Ebenfalls werden Moscheen als die Ursprungsorte fundamentaler Strömungen angesehen. Andere befürworten den Bau von Minaretten und Moscheen. Denn, wo der Betrieb und die Finanzierung einer Moschee transparent gehalten werden, sei es einfacher Extremismus zu bekämpfen, als wenn man Muslime in Garagen oder Hinterzimmer dränge. Auch ist strittig, inwieweit eine pauschale Verweigerung von Minaretten eine Diskriminierung und Ungleichbehandlung darstellt. Mittlerweile wurde eine Volksinitiative eingereicht, welche das Verbot von Minaretten in der Schweiz fordert.
Der Euroislam
Nicht nur in der Schweiz wird der Umgang mit dem Islam diskutiert. Länder wie England, Deutschland und Frankreich beschäftigen sich ebenfalls intensiv mit dem wachsenden Bevölkerungsanteil der Muslime. Ein viel besprochener Ansatz ist der im Folgenden beschriebene Euroislam. Daneben wird allerdings auch die Meinung vertreten, dass der Islam von Grund auf nicht mit den westlichen Werten vereinbar sei. Eine Integration sei folglich gar nicht möglich.
Der Euroislam ist eine Bestrebung einzelner europäischer Regierungen und gewisser muslimischer Organisationen. Ihr Ziel ist, dass alle Muslime die Trennung zwischen Religion und Staat akzeptieren. In der Türkei ist dies zum Beispiel der Fall. Dabei soll der Koran so interpretiert werden, dass er mit den europäischen Werten und dem europäischen Rechtssystem vereinbar ist. Weiter sollen die liberalen Strömungen des Islams unterstützt werden. Durch die Einrichtung von theologischen Fakultäten für den Islam, soll dieser besser an das europäische Umfeld angepasst werden. Dieser Ansatz wird jedoch von vielen Seiten kritisch hinterfragt. Es wird die Frage gestellt, ob in Europa lebende Muslime den Islam überhaupt anders interpretieren möchten. Weiter besteht die Gefahr, dass durch angepasste Interpretationen des Islams Spannungsfelder beschönigt anstatt diskutiert werden.
Fazit
Der Staat hat gemäss Verfassung die kulturelle Vielfalt des Landes zu fördern und die Religionsfreiheit zu garantieren. Dies gilt auch für den Islam und erlaubt es Muslimen ihren Glauben auszuleben.
Dies allerdings innerhalb klarer Schranken. Es ist mehrheitlich unbestritten, dass bei der Auslebung die Schweizer Gesetze einzuhalten sind und speziell das Predigen fundamentalistischer Werte nicht geduldet ist.
Keine Einigkeit besteht bei der Frage, inwiefern neben dem Einhalten der Gesetze auch eine kulturelle Integration politisch gefördert oder gar erzwungen werden soll. In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Islam oft pauschal und als Bedrohung wahrgenommen. Die Muslime fühlen sich dadurch in eine Ecke gedrängt, was zu gegenseitigem Unverständnis führt. Einiges erinnert dabei an die Diskussion über kulturelle Unterschiede, wie sie in den 60er-Jahren bezüglich italienischer Immigranten gehalten wurde. Spannungsfelder bei der Integration bestehen offensichtlich und die Bevölkerung hat noch keine Balance zwischen der Freiheit der Andersartigkeit und der Forderung nach Anpassung gefunden. Ein stärkerer Dialog mit der islamischen Glaubensgemeinschaft wie ihn der Euroislam aufzeigt sowie die Fortführung des politischen Diskurses muss hier für verschiedene Bereiche Lösungen finden. Die nächste wichtige Entscheidung steht mit der Volksinitiative zum Verbot von Minaretten in den nächsten Monaten an.
Literaturverzeichnis [ ein-/ausblenden ]
Text weiterempfehlen: |
Umgang mit dem Islam in der Schweiz
Der muslimische Anteil der Bevölkerung hat in der Schweiz über die letzten 30 Jahre stark zugenommen. Dadurch ist es zu intensiven Diskussionen über die Integration von Muslimen in der Schweiz gekommen.
Oft diskutiert sind die Spannungsfelder Kopftuch, Schuldispensen, Minarette und Imame.
Das Kopftuch wird oft als Zeichen der Andersartigkeit und schlechten Integration gesehen. In einigen Kantonen ist Lehrerinnen das tragen des Kopftuchs verboten, um die religiöse Neutralität der Schule sicherzustellen.
Auch bei Schuldispensen, Minaretten und Imamen wird diskutiert, wie viel anders der Islam in der Schweiz sein darf und wie viel Integration gefordert werden soll.
Es gibt Bestrebungen, dies durch den Euroislam zu lösen, der eine Interpretation des Korans anstrebt, welche stärker mit westlichen Werten und Lebensweisen vereinbar ist.
Scharia
Die Scharia ist das legitimierte, unabänderliche Gesetz des Islams. Sie geht aus dem Koran und aus der Sunna, der Gesamtheit der von Mohammed überlieferten Aussprüche, Entscheidungen und Verhaltensweisen hervor. Die Scharia regelt neben Hygiene- und Etikettvorschriften vor allem Rechtsbereiche wie Familien- und Strafrecht. Sie wird allerdings in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich umgesetzt. Manche setzen sie vollumfänglich um. Allgemein verbreitet ist die Umsetzung im zivilrechtlichen Bereich. Darüber hinaus bestehen auch verschiedene Rechtsschulen welche die Scharia unterschiedlich auslegen. Inwiefern ein Islam ohne Durchsetzung der Scharia möglich ist, bleibt umstritten. 2003 urteilte der europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die komplette Einführung der Scharia mit einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar sei. Allerdings gibt es Diskussionen in westlichen Ländern ob zumindest Teile der Scharia in eine spezielle Rechtssprechung für Muslime überführt werden sollen. In Griechenland können Muslime Fragen die ihren persönlichen Status und das Familienrecht betreffen, nach der Scharia anstelle des griechischen Rechts regeln.
Schächtverbot
Schächten ist das Schlachten von Tieren ohne Betäubung vor dem Blutentzug. Das Schächten wurde durch die erste angenommene Volksinitiative der Schweiz aus Tierschutzgründen verboten. Zur Zeit seiner Inkraftsetzung war davon vor allem die jüdische Glaubensgemeinschaft betroffen. Das Schächtverbot zeigt, dass die Abwägung der Religionsfreiheit einer Minderheit und den Werten der Mehrheit schon immer schwierig war. Ein Verbot, das nur eine Glaubensgemeinschaft betrifft, ist diskriminierend und somit verfassungswidrig, sofern dafür keine sachlichen Gründe aufgeführt werden können. Beim hier beschriebenen Beispiel des Schächtverbots lag durch den Tierschutz ein sachlich, nachvollziehbarer Grund vor.
Kommentare von Lesern zum Artikel
Der Verein Vimentis hat sich entschieden, die Kommentarspalte zu den Blogs zu schliessen. In der folgenden Erläuterung erfahren Sie den Grund für diesen Entscheid.
Der Blog, und dazu gehört auch die Kommentarspalte, sind ein wichtiger Teil der Diskussionsplattform von Vimentis. Gleichzeitig sind Werte wie Respekt, Anstand und Akzeptanz für den Verein von grösster Wichtigkeit. Vimentis versucht diese Werte selbst einzuhalten, sowie auch auf der Website zu garantieren.
In der Vergangenheit wurden diese Werte in der Kommentarspalte jedoch regelmässig missachtet, es kam immer wieder zu nicht tolerierbaren Aussagen in den Kommentaren. Das Löschen dieser Kommentare ist heikel und zudem mit grossem Aufwand verbunden, welcher der Verein nicht stemmen kann. Zusätzlich können die Kommentare praktisch anonym verfasst werden, weswegen eine Blockierung der jeweiligen Personen unmöglich wird.
Folglich hat der Verein Vimentis entschlossen, die Kommentarfunktion abzuschalten und nur den Blog stehen zu lassen. Der Blog erlaubt es Personen weiterhin, sich Gehör zu verschaffen, ohne sich hinter einem Pseudonym zu verstecken. Die Änderung sollte die Blog-Plattform qualitative verbessern und all jenen Personen ins Zentrum rücken, welche Interessen an einer sachlichen Diskussion haben, sowie die oben erwähnten Werte respektieren.