Es stimmt, die SVP ist im Bundesrat weiterhin untervertreten. Das hat sie aber ausschliesslich sich selbst zuzuschreiben.
Die Bundesratswahlen haben hohe Wellen geworfen. Die Kommentare fielen extrem unterschiedlich aus, und das hat viel zu tun mit der höchst uneinheitlichen Auffassung über den Schlüsselbegriff Konkordanz. Viele verwechseln die Konkordanz mit der Zauberformel, und das ist so falsch wie wenn man Mittel und Zweck verwechselt. Konkordanz ist der Zweck und meint die Einbindung der wichtigsten politischen Kräfte in die Regierung. Die Zauberformel 2:2:2:1 war das seit 1959 geltende Mittel, mit dem die realen Verhältnisse mit den drei klar stärksten Parteien und einer ebenso klaren Juniorpartnerin am besten abzubilden waren.
Diese Klarheit gibt es heute nur noch an den Polen mit SVP und SP als den zwei deutlich stärksten Parteien. Dazwischen aber haben sich die Kräfteverhältnisse markant verändert. Die FDP ist kaum noch stärker als die CVP (gemessen an Sitzen im Bundesparlament sogar schwächer), die Mitte wird nicht mehr von CVP und FDP gebildet, sondern von CVP, GLP und BDP, während die FDP klar nach rechts gerutscht ist. Links gibt es neben der SP noch die Grünen. Das schweizerische Parteiensystem des Jahres 2011 ist nicht mehr das gleiche wie dasjenige von 1959 als die Zauberformel erfunden wurde. Es ist auch nicht mehr das gleiche wie 2003 als die Rolle der Juniorpartnerin von der SVP zur CVP überging. Angesichts dieser Veränderungen erscheint es logisch, dass auch die traditionelle Bundesratsformel nicht mehr in Stein gemeisselt ist.
Die Diskussionen konzentrieren sich auf die SVP, denn diese sieht sich ungerecht behandelt, weil sie als stärkste Partei nur einen Bundesrat hat. Das ist tatsächlich auch unter den geänderten politischen Kräfteverhältnissen problematisch, aber warum ist es so gekommen? Wer ist da Opfer und wer Täter?
Für mich ist der Fall klar: Die SVP ist ihr eigenes Opfer. Sie ist Opfer und Täterin zugleich. Sie war auch nach der Abwahl von Christoph Blocher vor vier Jahren mit zwei Personen in der Landesregierung vertreten, schloss dann aber nach einer beispiellosen Hasskampagne Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf aus der Partei aus und reduzierte ihre Zweiervertretung auf eine Einervertretung. Wenn es also einen Konkordanzbruch gab, dann hat ihn zu allererst die SVP selbst begangen. Sie hätte den Schaden am letzten Mittwoch korrigieren können, agierte aber in höchstem Mass kontraproduktiv. Sie sann auf Rache an der Bündnerin statt eine überzeugende Strategie der Rückeroberung des zweiten Sitzes zu formulieren und diese mit geeigneten Allianzen abzusichern. Die Führungsriege der SVP weigerte sich im Vorfeld der Bundesratswahlen strikte, den zweiten Sitz auf Kosten der übervertretenen FDP anzupeilen. Dabei gab es überdeutliche Hinweise anderer Parteien wie etwa der SP und der GLP, die Unterstützung für dieses Vorhaben signalisierten. Und es gab noch viel deutlichere Hinweise darauf, dass der Angriff auf Widmer-Schlumpf scheitern würde. Die SVP wusste genau, wie der zweite Sitz zu holen gewesen wäre und wie er nicht zu holen war. Sie hat wissentlich den Weg in die Niederlage gewählt. Dass der Angriff auf die FDP keine so abseitige Variante war wie die Partei vorher ständig betont hatte, bewies sie selbst im 6. Wahlgang als sie plötzlich Jean-Francois Rime gegen Johann Schneider-Ammann ins Rennen schickte. Zu spät, und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.