Schon das Flugzeug auf dem Zürcher Flughafen war blau gewesen. KLM. Auch die Uniform der Stewardessen hatte diese Farbe gehabt. Vom Himmel ganz zu schweigen. Geert Wilders Krawatte hing dann ebenfalls hellblau über seiner Brust. Doch blauer noch waren seine Augen. Meine Reise nach Den Haag stand also farblich gesehen im Zeichen der Hoffnung.
Und diese wurde nicht enttäuscht.
Als ich Geert nach akribischen Eingangskontrollen und einer längeren argwöhnischen Begutachtung durch seine Leibwächter endlich Auge in Auge gegenüberstand war ich zuerst von seiner Länge beeindruckt. Hundertneunzig Zentimeter Eleganz und Zuvorkommenheit glitten auf mich zu und schüttelten mir herzlich die Hand.
„Hi, Oskar, it’s a pleasure and a honor to meet you”. Ganz meinerseits, Geert. Das Duzen ergab sich wie von selbst.
Ohne Verzug betraten wir gemeinsam den Konferenzraum, wo die Journalisten schon sehnsüchtig auf das ausgefallene Paar warteten. Der hagere, längliche und blonde Holländer neben dem stämmigen, braungebrannten Rossschwanzträger aus den Alpen.
Geert sagte zuerst einige einleitende Worte und erteilte dem Gast aus „Switzerland“ das Wort.
Ich bedauerte zuerst das unverständliche und feige Verhalten des Gemeindepräsidenten von Savièse, der in vollem Wissen um den Redner den Mietvertrag der Festhalle unterschrieben hatte und mich dann durch seinen plötzlichen Vertragsbruch zwang, Geert auszuladen. Dies nur, weil er sich vor denjenigen des „islamischen Zentralrates“ aus Biel fürchtete. Dann einige Worte zur Islamisierung allgemein und einem zukünftigen Europa der souveränen Staaten.
Darauf ergriff Geert das Wort. Auf Englisch. Mir fielen seine ruhige, besonnene Sprechweise auf, die Wärme seiner Stimme und sein Humor.
Selbst die Journalisten konnten sich seinem Charme nicht entziehen. Alle lachten mit, als er uns als Paar bei seinem „first date“ vorstellte und im Herbst in Berlin die Flitterwochen versprach.
Nachdem die Fragen der Reporter beantwortet waren, zogen wir uns in sein Büro im oberen Stockwerk zurück. Eine elektronisch verriegelte Stahltür strahlte Fort-Knox-Kälte aus, aber im Vorraum dahinter sorgten drei charmante und lächelnde Sekretärinnen für menschliche Wärme. Das Arbeitszimmer selbst war gemütlich, mit vollen Bücherregalen und einladenden Ledersesseln ausgestattet.
Geert beschaffte mir ein Bier und fragte, ob es mich störe, wenn er eine Zigarette rauche. Selbstverständlich nicht. Er bot mir eine an. Danke. Bin Nichtraucher.
Auf der Couch an der Wand nahmen die jüngste Senatorin der Niederlande und Geerts Pressesprecher Platz, der vor Jahren einmal mit Diana West Vom Washington Post bei mir in Savièse sein erstes Raclette verspeist hatte.
Das Gespräch zwischen den zwei „islamophoben Rechtspopulisten“ konnte beginnen und verlief, wie ich es insgeheim erhofft hatte: herzlich, entspannt und doch faktisch.
Wir waren in unserer Kritik einhellig: Personenfreizügigkeit als Fleischwolf der Mittelklassen, Demokratie-Defizit der EU, schweigende Duldung der fortschreitenden Islamisierung, Beschränkung der Redefreiheit. Er fragte mich bis ins Detail über die direkte Demokratie in der Schweiz aus. Wie viele Unterschriften braucht es? Innert welcher Frist? Wie oft wird jährlich abgestimmt? Was ist die Rolle von Parlament und Regierung? Und so weiter. Ich erklärte alles ausführlich. Bewunderung in seinen Augen: „So etwas müssen wir bei uns auch einführen“. Dann die Frage nach etwaigen Verbündeten. Auch hier waren wir deckungsgleich. Vorbehalte gegenüber Marine Le Pen, Strache und De Winter. „Aber die Dänen sind in Ordnung. Und Stadtkewitz ist grosse Klasse. Dem müssen wir bei den Wahlen in Berlin im September helfen“. Kopfnicken meinerseits.
Dann wagte ich persönlichere Fragen: Immer diese sechs Leibwächter, rund um die Uhr. Wie lebt man damit? Man gewöhne sich an alles, war die Antwort. Warum er sich das antue. Weil es ja einer machen müsse. Man könne doch nicht einfach dabei stehen und zuschauen, wenn Pim Fortuyns und Theo Van Goghs im Namen des religiösen Fanatismus auf offener Strasse abgeschlachtet würden. Man müsse reden, wenn alle schweigen.
Hier sass ich nun dem Mann gegenüber, der von allen Medien Europas als hasserfüllter, intoleranter Extremist dargestellt wird. Dieses Bild hielt vor dem Original keineswegs stand. Im Menschen vor mir war keine Spur von Hass oder Intoleranz zu finden. Da wurden Fakten dargelegt, auf kühle, sachliche Art. Da kam Besorgnis um den Zustand Europas zum Ausdruck, Sorge um die Zukunft. Dahinter verbarg sich eine warmherzige Persönlichkeit, die eine ungeheure Ruhe ausstrahlte. Nichts Fahriges, Hektisches in der Gestik. Viel Besonnenheit bei bedächtiger Wortwahl. Und immer wieder dieses Lächeln, vor dem jede Hassbezeugung nur wegschmelzen konnte. Ich verstand, warum man diesen Menschen nicht zu Wort kommen lassen durfte. Er hätte spielend ganze Säle überzeugt, strahlte zugleich diese ungeheure Leichtigkeit des Seins aus und doch wieder eine gewisse Melancholie, die manchmal einen Schatten über seine Augen warf. Den Schatten der Fatwa, die über ihn verhängt wurde.
Oskar Freysinger
Nationalrat