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ueli hofer sagte September 2019
Beim Lesen des folgenden Artikels in der NZZ vom Sonntag, 19.09. über übereifrige Bürikratie, musste ich spontan an zwei Institutionen denken. Es sind dies in der Schweiz Im Sektor Gesundheit Und ganz ausgeprägt in Europa, die EU. Die EU organisiert sich zu Tode! 1. Rat: Brüssel 2. Parlament: Straßburg 3. Kommission: Brüssel 4. Gerichtshof: Luxemburg 5. Rechnungshof: Luxemburg 6. Zentralbank: Frankfurt am Main
Hier die Kolumne:
Gegen immer neue Fachstellen und Berichte scheint kein Kraut gewachsen. Diese Kommissionitis bietet allerdings auch Vorteile.
Universitäten, Behörden und Spitäler, aber auch private Grosskonzerne, entwickeln oft ein Eigenleben, das sogar für Insider schwer nachvollziehbar ist – geschweige denn für Aussenstehende. In rasantem Tempo werden neue Kommissionen, Abteilungen und Stellen geschaffen, oft ohne einsichtigen Grund. Das führt zu grotesken Situationen.
So kann es passieren, dass man nach Jahren der Organisationszugehörigkeit von Abteilungen erfährt, die für die gleichen Aufgaben zuständig sind, ohne dass man bisher voneinander gewusst hätte oder dass man einander in die Quere gekommen wäre. Ein weiterer Klassiker der Bürokratie: Es werden Personen für die Bekämpfung von Problemen eingestellt, die eigentlich gar nicht existieren. Die Stelleninhaber müssen sich dann ihre Tätigkeit entlang des fehlenden Bedarfs geschickt selbst gestalten.
Dies führt nicht selten zu einem Schwall von Berichten, die keiner liest, zu vielfältigen Angeboten, die keiner nutzt und zu Veranstaltungen, die niemand besucht. Trotzdem überleben die Abteilungen, ja sie wachsen sogar auf wundersame Weise – indem neue Mitarbeiter angestellt werden für neue Berichte, neue Angebote und neue Veranstaltungen (die wiederum niemand liest, nutzt und besucht). Es stellt sich darum die Frage: Wieso treibt die Bürokratie in grossen Organisationen solche Blüten?
Eine noch bessere Antwort auf die Frage, wieso sich Ineffizienz lohnen kann, bietet das sogenannte Mülleimer-Modell.
Eine Antwort gibt der sogenannte Neoinstitutionalismus: Auch hochgradig ineffiziente Organisationen sind überlebensfähig. Um erfolgreich zu sein, müssen sie nicht in erster Linie effizient sein, sondern sich vor allem so präsentieren, dass sie Unterstützung und Wertschätzung von innen und aussen bekommen. Erst dies garantiert eine ausreichende Versorgung mit motivierten Arbeitskräften, finanziellen Mitteln und Wohlwollen von Politikern und anderen Stakeholdern. Deswegen übernehmen solche Organisationen auch gerne Praktiken, Managementmethoden und politische Leitlinien, die dem Effizienzstreben eigentlich zuwiderlaufen. Erst dies garantiert eine ausreichende Versorgung mit motivierten Arbeitskräften, finanziellen Mitteln und Wohlwollen von Politikern und anderen Stakeholdern. Deswegen übernehmen solche Organisationen auch gerne Praktiken, Managementmethoden und politische Leitlinien, die dem Effizienzstreben eigentlich zuwiderlaufen.
Ein schönes Beispiel ist die Euphorie rund um die Methode des «Best Practice». Dabei imitieren Organisationen Methoden der Trendsetter, auch dann, wenn sie vom Nutzen dieser Neuerungen gar nicht überzeugt sind. Wenn es die Marktführer tun, kann es ja nicht schaden. Die eigens dafür geschaffenen Kommissionen, Abteilungen und Stellen werden nach aussen hin zur Schau gestellt. Sie sollen das positive Bild einer innovativen, nachhaltigen Organisation zeichnen, die alle gleichbehandelt.
Es kommt sogar vor, dass die neuen Institutionen in einem Paralleluniversum agieren, also mit dem operativen Geschäft gar nichts zu tun haben. Aber auch solche Lippenbekenntnisse erzeugen offenbar Wettbewerbsvorteile: Der Glaube der Mitarbeiter, in einer anerkannten Top-Organisation zu arbeiten, beflügelt deren Leistungsfähigkeit.
Eine noch bessere Antwort auf die Frage, wieso sich Ineffizienz lohnen kann, bietet das sogenannte Mülleimer-Modell: Neue Abteilungen, Kommissionen und Stellen sind das Ergebnis zufälliger Lösungen, die man für irgendwelche Probleme bei Sitzungen aus dem Hut zaubert. Ein beliebter Weg in Grossorganisationen besteht ja darin, die Probleme auszusitzen, sie also zu ignorieren oder ihre Existenz zu bestreiten. Ist das nicht mehr möglich, bleibt nur noch das Abschieben des Problems in eine Kommission.
Durch die Weiterleitung in die bürokratische Warteschleife gewinnt man wertvolle Zeit. Die Ausschüsse müssen erst mühevoll gebildet werden, und sie treffen sich nur unregelmässig. Sie sind zudem auf die Stellungnahmen anderer Gremien angewiesen, die sich ebenfalls nur unregelmässig treffen oder erst gebildet werden müssen. Es besteht also die berechtigte Hoffnung, dass sich das ursprüngliche Problem angesichts der permanenten Problemüberfülle in Organisationen von selbst erledigt.
Die von den Kommissionen erarbeiteten Lösungen verschwinden unauffällig im Mülleimer der Organisation. Auf den ersten Blick mag dieses Vorgehen kontraproduktiv erscheinen. Langwierige, schrittchenweise verlaufende und vielstimmige Prozesse besitzen allerdings den Vorteil, dass fundamentale Fehler verhindert werden, dass Mitsprachemöglichkeiten entstehen und dass – gottlob – nicht jede Mode gleich auch umgesetzt wird.
Das klingt haarsträubend. Solche Bürokratie als reine Mittelverschwendung abzutun, ist aber dennoch falsch. Sie schweisst zusammen, bewahrt vor grösserem Schaden, verhindert Machtmissbrauch und fördert gar die Agilität, weil stets freie Ressourcen vorhanden sind. Das ist doch beruhigend. Katja Rost ist Soziologieprofessorin an der Universität Zürich.
Es wäre gut, wenn beherzte Journalisten sich aufraffen könnten, dieses Thema zu bewirtschaften.
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